Rückenschmerzen: Die 3 wichtigsten Säulen einer wirksamen Therapie

Worauf kommt es bei der Behandlung von Rückenschmerzen an? Wir fassen die drei wichtigsten Elemente einer wirksamen Therapie zusammen.

9 Min. Lesezeit
Illustration der multimodalen Therapie

Im Laufe der Zeit hat sich die Medizin stetig weiterentwickelt und neue, innovative Ansätze zur Behandlung von Schmerzen entwickelt. Lange Zeit wurden Schmerzen hauptsächlich als körperliches Problem betrachtet, und Ärzt:innen konzentrierten sich darauf, die zugrunde liegenden physischen Ursachen zu lindern. Doch in den letzten 70 Jahren hat sich ein Paradigmenwechsel in der Schmerzmedizin vollzogen, der unser Verständnis von Schmerz und seine Behandlung verändert hat.

In der ganzheitlichen Schmerzmedizin wird Schmerz als ein komplexes Zusammenspiel von physischen, emotionalen, psychischen und sozialen Faktoren betrachtet. Diese spannende Entwicklung hat zu einer Veränderung in der Wahrnehmung von Schmerzen, der gezielten Ursachenforschung und der anschließenden effektiven Behandlung geführt.

In diesem Artikel erforschen wir, wie ganzheitliche Ansätze es ermöglichen, die Lebensqualität zu verbessern, indem sie nicht nur den Schmerz selbst, sondern auch die zu Grunde liegenden Ursachen und Auswirkungen behandeln.

Ganzheitliche Schmerzmedizin: Ein Blick in die Geschichte

Im Jahr 1947 beginnt unsere Geschichte. Der zweite Weltkrieg ist vorbei, nicht aber die Schmerzen der Kriegsverletzten in den Krankenhäusern. Viele Patient:innen berichten von Dauerschmerzen, ohne dass herkömmliche Behandlungsmethoden ihnen Linderung verschaffen können.

John Bonica, ein amerikanischer Anästhesist, ist einer der wenigen unter den Ärzt:innen, der die Meinung vertritt, man könne diese Art der Schmerzen nicht mit den gewohnten Therapieansätzen behandeln. 

Bonica eröffnete noch in den 1940er Jahren die erste interdisziplinäre Schmerzklinik, vergleichbar einer heutigen Schmerzambulanz. Schmerzklinik. In seiner Klinik arbeiteten u.a. Orthopäd:innen, Psycholog:innen und Physiotherapeut:innen zusammen an den Behandlungsplänen für ihre Patient:innen und vereinten so verschiedene Disziplinen in einem Therapieprogramm.

Wissenschaftlich untermauert wurde sein Behandlungskonzept erst später u.a. durch Forschungen des Psychologen Ronald Melzack und des Physiologen Patrick Wall. Gemeinsam veröffentlichten sie 1965 die sogenannte „Gate Control Theory“.

Einfach gesagt, beschreibt das Modell den Vorgang der Schmerzentstehung und Hemmung durch verschiedene Komponenten des Körpers. Zentral ist die Schmerzweiterleitung des Gehirns durch das Rückenmark und die Vorgänge, die diese Weiterleitung beeinflussen. Neu an ihrer Theorie – Wall und Melzack benennen erstmals den Einfluss psychologischer Komponenten, wie Gefühle oder Gedanken, auf die Schmerzentstehung.

Weitere 12 Jahre später begründet der amerikanische Internist und Psychiater George L. Engel das Bio-Psycho-Soziale-Modell – ein bis heute anerkanntes, interdisziplinäres Krankheitsmodell. Engels Ansatz geht davon aus, dass bei der Entstehung von Krankheit körperliche, psychische und soziale Faktoren eine Rolle spielen.

Nach Engel wird auch Schmerz als multidimensionales Syndrom betrachtet.Gerade am Beispiel Rückenschmerzen lässt sich deutlich zeigen, wie sich das Bio-Psycho-Soziale-Modell auf Patient:innen anwenden lässt.

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Rückenschmerzen ganzheitlich denken

Rückenschmerzen können durch bestimmte körperliche Auslöser entstehen, wie zum Beispiel durch eine Verletzung oder einen Bandscheibenvorfall. In diesem Fall sprechen Ärzt:innen von spezifischen Rückenschmerzen.

Rund 85 Prozent der Menschen, die von Rückenschmerzen berichten, haben jedoch sogenannte nicht-spezifische Rückenschmerzen.5 Nicht-spezifische Rückenschmerzen haben keine eindeutige Ursache und können zum Beispiel durch langes Sitzen oder Stehen, Stress und Unzufriedenheit ausgelöst werden.

Hier wird bereits deutlich, dass die Psyche bei nicht-spezifischen Rückenschmerzen eine große Rolle spielt. Gerade wenn der Schmerz anhält, kann er die mentale Gesundheit beeinflussen. Patient:innen können beispielsweise Ängste entwickeln, dass der Schmerz schlimmer wird oder dass sie sich falsch bewegen. 

Den Alltag nicht wie gewohnt bewältigen zu können, ist ebenfalls eine emotionale Belastung. Auch das Selbstbild, das eigene Rollenverständnis und die Zukunftsperspektive verändern sich bei anhaltendem Schmerz.6

Wer durch starke Rückenschmerzen im Alltag eingeschränkt ist, kann Bewegungen vielleicht nicht wie gewohnt ausführen. Möglicherweise ist man auch auf die Unterstützung durch andere Menschen angewiesen oder kann nicht arbeiten. Schmerzen beeinflussen also die Teilnahme am Sozialleben und die Beziehung zu anderen Menschen.

Bei Diagnostik und Behandlung ist es somit wichtig, alle Schmerzdimensionen anzusprechen, wie es heute bei der multimodalen Schmerztherapie der Fall ist.

Multimodale Schmerztherapie

Die multimodale Schmerztherapie wird in Deutschland bereits seit den 70er Jahren als Konzept angewandt.7 Die Therapie bietet ein breites Spektrum an Strategien und Übungen, die helfen, mit Schmerzen und besonders mit chronischen Schmerzerkrankungen umzugehen. Die multimodale Schmerztherapie setzt dabei auf das Motto „Hilfe zur Selbsthilfe“, möchte also erreichen, dass Patient:innen selbst wissen, wie sie aktiv und eigenständig im Alltag mit ihren Schmerzen umgehen können. Das Ziel ist, dass Patient:innen am Ende der Therapie ihre eigenen, individuellen Strategien an der Hand haben, um ihre Schmerzen eigenständig zu lindern.

Um alle Schmerzdimensionen des Bio-Psycho-Sozialen-Modells zu adressieren, besteht die multimodale Schmerztherapie aus einem interdisziplinären Therapieansatz.

Bei der Behandlung sind mindestens drei Berufsgruppen beteiligt, zum Beispiel Ärzt:innen, Psycholog:innen und Ergotherapeut:innen. Das Behandlungsteam steht dabei in regelmäßigem Austausch und arbeitet eng zusammen, um eine optimale Versorgung der Patient:innen zu gewährleisten. Zu den Kernelementen der multimodalen Schmerztherapie gehören unter anderem:

  • Bewegung, um die körperlichen Ursachen zu therapieren,
  • Entspannungsübungen, um emotionale Belastungen zu erkennen und Stress abzubauen
  • Wissen, um den eigenen Körper und Symptome besser zu verstehen und Veränderungen des Lebensstils herbeizuführen

Warum diese drei Therapiebausteine wichtige Säulen bei der Behandlung von Rückenschmerzen sind, erklären wir jetzt:

  1. Säule: Bewegung

Warum ist Bewegung wichtig bei Rückenschmerzen?

Der positive Effekt von Bewegung bei Rückenschmerzen beruht auf mehreren Faktoren. Erstens stärkt regelmäßige Bewegung die Muskulatur und verbessert die Flexibilität der Wirbelsäule. Dadurch werden die Strukturen des Rückens besser gestützt und entlastet, was die Schmerzen reduzieren kann. Zweitens fördert Bewegung die Durchblutung und den Abtransport von schmerzauslösenden Entzündungsstoffen aus dem Gewebe.8 Drittens, trägt Bewegung zur Ausschüttung von Endorphinen, den körpereigenen „Glückshormonen“, bei, die das Schmerzempfinden positiv beeinflussen können.9

Bewegung ist also eine wichtige Säule zur Behandlung von Rückenschmerzen. In der multimodalen Schmerztherapie kommt sie wie folgt zu Einsatz:

  • Individualisierte Übungsprogramme: Jeder Mensch ist einzigartig, und so auch seine Rückenschmerzen. In der multimodalen Schmerztherapie wird ein individuelles Bewegungsprogramm erstellt, das auf die spezifischen Bedürfnisse und Fähigkeiten der Patient:innen abgestimmt ist. Das Training kann Kräftigungsübungen, Dehnung oder Yoga umfassen.10
  • Förderung der Eigenverantwortung: Die Bewegungstherapie ermöglicht es den Betroffenen, aktiv an ihrer Genesung mitzuwirken. Indem sie die Übungen in ihren Alltag integrieren und regelmäßig ausführen, können sie einen Beitrag zur Schmerzlinderung leisten und ihre Rückengesundheit langfristig verbessern.11

2. Säule: Entspannung

Warum ist Entspannung wichtig bei Rückenschmerzen?

Entspannung und Achtsamkeit werden in der multimodalen Schmerztherapie oft als grundlegende Säulen eingesetzt. Entspannungstechniken helfen, körperliche Anspannungen zu reduzieren, während Achtsamkeit eine positive Einstellung zum Umgang mit Schmerzen fördert. Beide Ansätze ergänzen sich, da sie gemeinsam die psychische und physische Gesundheit verbessern und somit die Schmerzbewältigung erleichtern können.12

Achtsamkeitsübungen helfen beispielsweise der bewussten Schmerzbewältigung. Achtsamkeit ist eine Form der mentalen Selbstregulation. Einfach gesagt geht es um das bewusste Erleben des gegenwärtigen Moments ohne Bewertung oder Reaktion.13 Bei Rückenschmerzen kann Achtsamkeit dabei helfen, das Bewusstsein für den eigenen Körper zu stärken und Schmerzen ohne Verurteilung wahrzunehmen. Dieser Umgang mit Schmerzen ermöglicht es, negative Emotionen wie Angst und Furcht vor dem Schmerz wahrzunehmen und zu reduzieren, was wiederum den Schmerzzyklus unterbrechen kann.13 Studien zeigen, dass Achtsamkeitstraining eine vielversprechende Strategie zur Schmerzbewältigung bei chronischen Rückenschmerzen darstellt.14

3. Säule: Wissen

Warum hilft Wissen bei Rückenschmerzen?

Wissen über den Rücken und die Entstehung von Rückenschmerz spielt eine entscheidende Rolle in der Therapie. Schließlich ist Verständnis der Schlüssel!

Rückenschmerzen können als so belastend wahrgenommen werden, dass sich Patient:innen hilflos oder frustriert fühlen. Durch Aufklärung erhalten sie jedoch ein tieferes Verständnis für die Ursachen und Mechanismen von Rückenschmerzen. Das Wissen darüber, wie der Rücken aufgebaut ist, wie er funktioniert und welche Faktoren zu Schmerzen führen können, kann eine enorme Entlastung bedeuten. Indem Patient:innen verstehen, dass Rückenschmerzen häufig multifaktoriell sind und nicht immer auf Krankheiten zurückzuführen sein müssen, können Ängste und Unsicherheiten reduziert werden.

Mit Wissen zu mehr Selbstmanagement und Prävention

Durch fundiertes Wissen können Patient:innen lernen, wie sie selbst aktiv zur Schmerzbewältigung beitragen können. Hilfreiches Wissen umfasst beispielsweise Techniken zur Schmerzlinderung wie Bewegungsübungen, ergonomische Tipps für den Alltag und Entspannungstechniken. Die Fähigkeit, den eigenen Rücken besser zu verstehen und zu pflegen, kann die Lebensqualität verbessern und dazu beitragen, künftige Rückenschmerzepisoden zu verhindern.

Bessere Zusammenarbeit mit dem medizinischen Team

Edukation ermöglicht es Patient:innen außerdem, eine aktivere Rolle in ihrer eigenen Gesundheitsversorgung einzunehmen. Wenn Patient:innen das Wissen haben, Fragen zu stellen, Entscheidungen zu treffen und mit ihrem medizinischen Team zusammenzuarbeiten, können sie besser auf ihre individuellen Bedürfnisse zugeschnittene Behandlungspläne entwickeln. Dies führt zu einer effektiveren Zusammenarbeit zwischen Patient:innen und medizinischem Fachpersonal.

Kaia Rückenschmerzen: Multimodale Schmerztherapie per App

Die multimodale Schmerztherapie gilt heutzutage als Goldstandard bei der Behandlung von Rückenschmerzen. Trotzdem haben die meisten Menschen keinen Zugang zu multimodalen Programmen, die meist im stationären Umfeld angeboten werden.

Deshalb haben wir von Kaia Health eine digitale Gesundheitsanwendung (DiGA) entwickelt – ein multimodales Therapieprogramm für Smartphone und Tablet.

Mit dem Therapieprogramm von Kaia Rückenschmerzen können Schmerzen und Stress mit über 100 angeleiteten Übungsvideos reduziert werden. Zusätzlich finden Patient:innen interaktive Wissenseinheiten, die Informationen rund um Rückenschmerzen, ihre Entstehung und einen rückenfreundlichen Lebensstil beinhalten.

Kaia kann jederzeit und überall genutzt werden und unterstützt Patient:innen dabei, sicher und wirksam zu trainieren. Dafür hat Kaia eine Technologie entwickelt, die über die Frontkamera des Smartphones oder Tablets die Übungsausführung erkennt und Korrekturen in Echtzeit anleitet. Kaia Rückenschmerzen ist die erste Diga, die künstliche Intelligenz zur Bewegungsanalyse benutzt: Mit dem sogenannten Bewegungscoach können Nutzende während des Trainings Korrekturen in Echtzeit erhalten und so noch sicherer und wirksamer trainieren.

Quellen
  1. https://www.schmerzgesellschaft.de/patienteninformationen/entwicklung-der-schmerzmedizin/geschichte-der-schmerzmedizin
  2. https://www.spektrum.de/lexikon/psychologie/gate-control-theorie/5513
  3. https://www.uni-augsburg.de/de/fakultaet/med/profs/medpsych/schwerpunkte-lehre
  4. https://www.rheumaliga.ch/rheuma-von-a-z/rueckenschmerzen
  5. https://www.tk.de/techniker/magazin/sport/gesunder-ruecken/ursachen-von-rueckenschmerzen-2007860
  6. Sabatowski/publication/321494254_Das_biopsychosoziale_Schmerzmodell_Entwicklung_Definition_und_Implikationen/links/5aba287b4585150a09a6cab5/Das-biopsychosoziale-Schmerzmodell-Entwicklung-Definition-und-Implikationen.pdf
  7. https://www.thieme-connect.de/products/ebooks/lookinside/10.1055/b-0039-167046
  8. Newiger, Christoph; Beinborn, Birgit (2005), Trias, Osteopathie: So hilft Sie Ihrem Kind – Ohne Nebenwirkungen: die sanfte Behandlung mit den Händen
  9. https://www.sportpsychologie-muc.de/2014/08/28/warum-sport-gute-laune-macht/
  10. Steffens, D., Maher, C. G., Pereira, L. S., Stevens, M. L., Oliveira, V. C., Chapple, M., … & Hancock, M. J. (2016). Prevention of Low Back Pain. Jama, 315(20), 2164-2173
  11. Hayden, J. A., van Tulder, M. W., Malmivaara, A. V., & Koes, B. W. (2005). Exercise therapy for treatment of non-specific low back pain. The Cochrane Database of Systematic Reviews, (3), CD000335
  12. Morone, N. E., Greco, C. M., & Weiner, D. K. (2008). Mindfulness meditation for the treatment of chronic low back pain in older adults: A randomized controlled pilot study. Pain, 134(3), 310-319.
  13. Kabat-Zinn, J. (1990). Full catastrophe living: Using the wisdom of your body and mind to face stress, pain, and illness. Delta
  14. Cherkin, D. C., Sherman, K. J., Balderson, B. H., Cook, A. J., Anderson, M. L., Hawkes, R. J., … & Turner, J. A. (2016). Effect of mindfulness-based stress reduction vs cognitive behavioral therapy or usual care on back pain and functional limitations in adults with chronic low back pain: A randomized clinical trial. JAMA, 315(12), 1240-1249

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