„Mein wichtigster Ratschlag? Aktiv bleiben. Sitzen ist das neue Rauchen.”

Prof. Dr. Rembert Koczulla, Chefarzt des Fachzentrums für Pneumologie der Schön Klinik Berchtesgadener Land, über eines der wichtigsten Elemente der COPD-Therapie: Bewegung.

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Prof. Dr. Rembert Koczulla
Chefarzt des Fachzentrums für Pneumologie der Schön Klinik Berchtesgadener Land.

Als Facharzt für Innere Medizin, Lungenheilkunde und Intensivmedizin ist Prof. Dr. Koczulla bereits seit mehreren Jahren beratend für Kaia Health tätig.

Zitat Prof. Dr. Rembert Koczulla

Wir schreiben das Jahr 2022. Lungengewebe aus dem 3D-Drucker gibt es noch nicht und auch kein Medikament, das versprechen kann, die COPD zu heilen. Das bedeutet allerdings nicht, dass die COPD-Therapie in den letzten Jahren keine Fortschritte gemacht hat. Besonders im Bereich der nicht-medikamentösen Behandlung gibt es neue Ansätze, COPD Symptome noch gezielter zu lindern. Darüber haben wir mit Prof. Dr. Rembert Koczulla, Chefarzt des Fachzentrums für Pneumologie der Schön Klinik Berchtesgadener Land, gesprochen und erfahren, wie Patient:innen aktiver und belastbarer werden können.

Kaia Health: Herr Prof. Dr. Koczulla, bevor wir ins Thema einsteigen, interessiert uns, was Sie an dem Fachbereich der Pneumologie besonders fasziniert? 

Prof. Dr. Koczulla: Was mich fasziniert, ist die Möglichkeit, klinisch etwas zu bewegen. Das heißt, dass man tatsächlich Leuten mit einem der fürchterlichsten Symptome, die es gibt, nämlich Luftnot, helfen kann. Daraus leitet sich direkt ab, ein neues, besseres Verständnis von Krankheit in diesem Bereich zu entwickeln. Mir geht es darum, einerseits die Grunderkrankung zu verstehen, andererseits eine Therapie zu entwickeln, die Abhilfe bringt und das Symptom der Luftnot lindert beziehungsweise nach Möglichkeit gar nicht aufkommen lässt.

Kaia Health: Ist Luftnot das zentrale Symptom aller Patient:innen, die zu Ihnen kommen?

Prof. Dr. Koczulla: Luftnot ist sicherlich ein Symptom, das als wahnsinnig unangenehm wahrgenommen wird und mit Ängsten belegt ist. Husten, Auswurf und Enge in der Brust sind weitere Symptome, aber die Luftnot ist zentral. Interessanterweise gibt es keinen Marker, der dieses Symptom verifiziert. Wenn Sie mir sagen, dass Sie Luftnot haben, dann kann ich nicht sagen: „Ok, das muss ich erstmal untersuchen, um das zu beweisen”, sondern ich glaube Ihnen.

Kaia Health: Was würden Sie sagen, ist die größte Herausforderung, wenn Menschen mit COPD in Ihr Sprechzimmer kommen? 

Prof. Dr. Koczulla: Wir müssen als erstes schauen, ob sich hinter dem riesigen Begriff der COPD auch immer das gleiche verbirgt und die spezifischen Eigenschaften der Patient:innen berücksichtigen. Habe ich eher einen Bronchitiker mit Husten vor mir oder einen Emphysematiker mit Engegefühl in der Brust durch Überblähung und Luftnot? Habe ich jemanden, der von häufigen Exazerbationen berichtet oder einen stabilen Patienten? Sie sehen, eine große Herausforderung ist erstmal die Diagnose. Wir müssen präzise sein und mit den entsprechenden diagnostischen Hilfsmitteln der Klinik eine klare, gute Diagnose stellen. Es geht uns darum, eine personalisierte, möglichst individualisierte Therapie auf den Weg zu bringen. Und das ist, selbst wenn das so lapidar und einfach klingt, nicht immer leicht, eben weil auch Begleiterkrankungen und das soziale Umfeld eine Rolle spielen.

Ich glaube, eine der ganz großen Neuerungen in der aktuellen Zeit ist, dass wir versuchen, personalisierter, individualisierter zu diagnostizieren und zu therapieren. 

Prof. Dr. Rembert Koczulla

Kaia Health: Gab es in den letzten Jahrzehnten weitere Neuerungen und Fortschritte, die erwähnenswert sind? 

Prof. Dr. Koczulla: Nun, wenn wir Fortschritte so definieren, dass wir eine Therapie haben, die COPD auf null zurückdreht und die Lunge gesunden lässt, dann nein. Wenn es darum geht, mit dem vorhandenen individualisierter und zielgenauer zu agieren, dann ja.  

Die Frage ist, ob wir nicht die Blickrichtung ändern müssen und in den Bereich der Prophylaxe gehen müssen. Das heißt, den Hauptrisikofaktor in unseren Breitengraden, den Zigarettenrauch, noch aktiver zu beeinflussen. Wenn wir uns die Geschichte angucken, ist das erst relativ spät erfolgt. Als in den neunziger Jahren die Kampagnen gegen das Zigarettenrauchen losgingen, wussten Ärzt:innen natürlich schon, dass sie es mit einem Risikofaktor zu tun haben, der ganz massiv Probleme machen kann. Heute stellen wir uns noch andere wichtige Fragen:

Wie sieht es aus mit Feinstaub? Wie sieht es aus mit der Umweltverschmutzung insgesamt? Wir werden in Zukunft sicherlich noch ganz andere Baustellen identifizieren. Aktuell ist ein interessanter und wichtiger Fokus auch auf die Frühgeburtlichkeit gelegt. Ein großes Problem ist auch der deutliche Rückgang der Aktivität und Bewegung, nicht nur unter COPD-Patient:innen, sondern auf globaler Ebene. 

Die WHO hat im Oktober 2022 ihren aktuellen Statusbericht mit globalen Bewegungsdaten veröffentlicht. Das Ergebnis: 44 Prozent der Frauen und 40 Prozent der Männer kommen innerhalb einer Woche nicht auf die empfohlenen 150 Minuten körperliche Betätigung. Deutschland schneidet im internationalen Vergleich schlechter ab als seine europäischen Nachbarn wie beispielsweise Spanien oder Finnland.1

Es ist erschreckend, wie eingeschränkt sich die Menschen insgesamt bewegen. Das wird uns, wenn wir nicht ganz massiv dagegen angehen, auf die Füße fallen.

Kaia Health: Warum ist ein aktiver Lebensstil gerade für COPD-Patient:innen so entscheidend? 

Prof. Dr. Koczulla: Sie müssen wissen, dass Muskelmasse mit der Prognose der Erkrankung vergesellschaftet ist. Je weniger Muskelmasse Sie haben, desto schlechter sieht die Prognose der COPD aus und umgekehrt. Es macht also Sinn, Muskelmasse zu erhalten oder nach Möglichkeit aufzubauen. Viele Patient:innen belasten sich aufgrund der Luftnot oder aus Angst vor Luftnot immer weniger, was zu einem Leistungsabbau führt. Deshalb empfiehlt auch die offizielle LeitLinie ein angeleitetes Bewegungstraining, das auf die individuellen Bedürfnisse und körperlichen Voraussetzungen angepasst ist.2

Kaia Health: Haben Sie einen Tipp, wenn sich Patient:innen nicht so recht motivieren können, mit dem Training zu beginnen oder dabei zu bleiben? 

Prof. Dr. Koczulla: Zum einen feste Kontakte, die Ärzt:innen mit ihren Patient:innen knüpfen können, zum anderen denke ich, dass digitale Helferchen das Ganze positiv beeinflussen. Der Bereich der digitalen Unterstützung ist mittlerweile riesengroß, es passiert unheimlich viel. Das muss man als Chance betrachten und nicht in die Ecke „alles Digitale ist Verteufelung der Zukunft” stellen. Im Gegenteil – ich glaube, dass wir damit einen zusätzlichen Angriffspunkt haben, um Leute aktiver zu bekommen.

Ein wichtiger Bestandteil jeder Behandlung sollte auch die Aufklärung der Patient:innen sein. Beispielsweise sind Lungenkrisen, die sogenannten Exazerbationen, ein massiver Bestandteil der COPD, aber nur ca. zwei Prozent wissen mit dem Begriff überhaupt etwas anzufangen.

Das heißt, wir müssen in der Sprache der Patient:innen sprechen, sie besser abholen und erklären, was sie tatsächlich aktiv selber tun können. Als Arzt kann ich dann an weiteren Stellschrauben drehen, aber Patient:innen haben den Grad ihrer körperlichen Belastbarkeit zumindest teilweise selbst in der Hand.

Vielen Dank für das interessante Gespräch!

Was ist eine Exazerbation?

Exazer­bation leitet sich vom latei­ni­schen Wort ​​[ex-]acerbare ab und bedeutet so viel wie „aufbringen“ oder „aufsta­cheln“.3 Im Kontext der COPD bedeutet das eine plötz­liche und starke Verschlech­terung der Symptome. COPD hat norma­ler­weise einen schritt­weisen Verlauf. Eine akute Exazer­bation hingegen kann nicht nur lebens­be­drohlich sein, sondern den Allge­mein­zu­stand der Patient:innen dauerhaft verschlechtern. Hier entlang für noch mehr Hintergrundwissen zur COPD.

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