Progressive Muskelentspannung bei Rückenschmerzen

Bei der Progressiven Muskelentspannung (PMR) wird durch das schrittweise (progressive) bewusste An- und Entspannen von verschiedenen Muskelgruppen eine Entspannungsreaktion herbeigeführt.

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Das Bild zeigt eine Frau, die mit Kopfhörern draußen sitzt und die Augen geschlossen hat. Sie illustriert, wie einfach es ist, mit Kaia zu entspannen.

Die Progressive Muskelentspannung (PMR) – was genau versteht man darunter?

Die Progressive Muskelentspannung ist ein Entspannungsverfahren nach Edmund Jacobson (1888-1983), der die Originalmethode des Verfahrens im Jahr 1938 veröffentlichte. Dabei war seine Grundannahme, dass eine enge Wechselwirkung zwischen körperlicher und geistiger Anspannung besteht. Jacobson beobachtete, dass die Muskelanspannung in Zuständen von Stress, Unruhe, oder Angst unmittelbar in die Höhe ging. Daraus folgerte er, dass man auch im Umkehrschluss durch eine Entspannung der Muskulatur einen Zustand der geistigen oder psychischen Entspannung und auch Muskelentspannung erreichen kann. [1]

Bei der Progressiven Muskelentspannung (PMR) wird demzufolge durch das schrittweise (progressive) bewusste An- und Entspannen von verschiedenen Muskelgruppen eine Entspannungsreaktion herbeigeführt. Das Entspannungsverfahren wurde seit der ersten Version von Edmund Jacobson 1938 mehrmals von verschiedenen Autoren überarbeitet. Eine der heute am häufigsten angewendeten Versionen orientiert sich an den Überarbeitungen von Bernstein und Borkovec. [2,3]

Wie wird die Progressive Muskelentspannung durchgeführt?

Die Progressive Muskelentspannung kann im Liegen oder im Sitzen durchgeführt werden. Zu Beginn ist es meist leichter mit einer liegenden Position zu starten weil hier am schnellsten ein entspannter Zustand erreicht wird. Im Verlauf sollte man die Übungen auch im Sitzen ausprobieren, um sie dann später leichter in den Alltag integrieren zu können.

Die Übungsanleitung erfolgt meistens durch einen Therapeuten, zum eigenständigen Üben Zuhause kannst Du aber auch Tonaufnahmen nutzen.

Die Übungen werden oft mit einer kleinen speziellen Einleitung, der sogenannten Entspannungsinduktion begonnen. Dabei wird der Übende aufgefordert seine Aufmerksamkeit nach innen zu richten, die Augen zu schließen und mit ein paar tiefen Atemzügen zur Ruhe zu kommen. Danach beginnt das schrittweise An- und Entspannen der Muskelgruppen. [4]

Der Ablauf der Übungen gestaltet sich folgendermaßen:

1. Richten der Aufmerksamkeit auf eine bestimmte Muskelgruppe, wie zum Beispiel die Muskeln der Hand

2. Anspannen der Muskelgruppe auf ein Zeichen vom Therapeuten, zum Beispiel, indem die Hand zu einer Faust geballt wird

3. Halten der Anspannung, zum Beispiel die Faust für ca. 5 bis 10 Sekunden

4. Lockern der Anspannung der Muskelgruppe auf ein weiteres Zeichen, die Faust wird losgelassen, die Muskeln der Hände entspannen sich wieder

5. Konzentration auf die Muskelgruppe für ca. 20-30 Sekunden um den Unterschied zwischen Anspannung und Entspannung wahrzunehmen und die Muskelrelaxion herbeizuführen

Bei der Langversion der Progressiven Muskelentspannung werden nacheinander die folgenden 16 Muskelgruppen durchgegangen:

  • Dominante Hand und Unterarm (also z.B. für Linkshänder die linke Seite)
  • Dominanter Oberarm
  • Nichtdominante Hand und Unterarm (also z.B. für Linkshänder die rechte Seite
  • Nichtdominanter Oberarm
  • Stirn
  • Obere Wangenpartie und Nase
  • Untere Wangenpartie und Kiefer
  • Nacken und Hals
  • Brust, Schultern und obere Rückenpartie
  • Bauchmuskulatur
  • Dominanter Oberschenkel
  • Dominanter Unterschenkel
  • Dominanter Fuß
  • Nichtdominanter Oberschenkel
  • Nichtdominanter Unterschenkel
  • Nichtdominanter Fuß

Nachdem mit allen Muskelgruppen geübt wurde, werden die einzelnen Muskeln nochmals nacheinander bewusst wahrgenommen, um festzustellen, ob noch Verspannungen zu spüren sind. Im Anschluss daran findet gewöhnlich eine 2-3 minütige Ruhephase statt. Die Progressive Muskelentspannung wird oftmals mit einer Rückholphase beendet. Es wird von 4 bis 1 gezählt, dabei werden zunächst bei 4 die Beine bewegt und aktiviert, bei 3 die Arme und die Hände, bei 2 der Rumpf und bei 1 werden die Augen wieder geöffnet. Für den gesamten Ablauf benötigt man bei dieser etwa 20 Minuten. [3]

Die 16 Muskelgruppen aus der Langversion können auch zusammengefasst werden, so gibt es kürzere Versionen mit 7 oder 4 Muskelgruppen. Hier werden beispielsweise beide Hände und Unterarme gleichzeitig angespannt. In der Regel wird mit der Langversion begonnen und dann die Länge der Übungen reduziert, aber Du kannst auch mit den Kurzversionen beginnen. Die Kurzversionen bieten den Vorteil, dass die Übungen leichter in den Alltag integriert werden können. Hier reichen oft 5-10 Minuten aus. [4]

Was muss ich bei den Übungen der Progressiven Muskelentspannung beachten?

  • Übe im Idealfall ca. 2 x am Tag einige Minuten. Plane die Zeiten fest ein!
  • Die ersten Effekte sind meist erst nach 2 Wochen täglichem Üben spürbar. Dran bleiben!
  • Übe anfangs in einem ruhigen Zimmer und versuche, alle Störquellen – so gut es geht – auszuschalten.
  • Halte möglichst die Reihenfolge der Muskelgruppen und den immer gleichen Ablauf der Übungen ein, das vereinfacht den Lernprozess.
  • Übe anfangs in ruhigen oder entspannten Situationen. Es wird gerade zu Beginn helfen leichter in die Entspannungsübungen und die Muskelrelaxion hineinzufinden.
  • Während der Anspannungsphase sollen keine schmerzhaften Empfindungen hervorgerufen werden. Vorhandene Schmerzen sollen durch die Kraft der Anspannung nicht verstärkt werden. Achte deshalb darauf beim Anspannen nicht zu verkrampfen, leichtes Anspannen reicht. Die Progressive Muskelrelaxion wurde von Hernn Jacobson schließlich als Entspannungsmethode erdacht, nicht als Krafttraining. 😉

Was bewirkt die Progressive Muskelentspannung auf lange Sicht?

Durch regelmäßige Übung wird die allgemeine Körperwahrnehmung verbessert. Der Unterschied zwischen angespanntem und entspanntem Zustand der Muskulatur wird im Trainingsverlauf immer deutlicher zu spüren sein. Angespannte oder verspannte Muskeln können frühzeitig wahrgenommen werden. Die Muskelanspannung kann ganz bewusst gesenkt werden. Im Trainingsverlauf wird außerdem das subjektive Entspannungserleben und die Muskelrelaxion vertieft.

Es fällt leichter, sich zu entspannen und man wird schneller von einer Anspannung, von Stress oder einem Unruhezustand in einen entspannten Zustand wechseln können. Mit der Zeit wird man eine gelassenere Grundhaltung gegenüber Alltagsstress und anderen Belastungen entwickeln. [5]

Stressige Faktoren wie Überforderung, Ängste oder auch Schmerz führen zu einer unwillkürlichen Anspannung einzelner Muskelgruppen. Die Progressive Muskelentspannung ist eines der wichtigsten Entspannungsverfahren, um diesen Stress-Kreislauf zu durchbrechen. Die Wirksamkeit des Verfahrens konnte in zahlreichen wissenschaftlichen Studien bestätigt werden. Die Progressive Muskelentspannung wird in vielen verschiedenen Behandlungsfeldern angewendet, unter anderem auch sehr erfolgreich in der Multimodalen Schmerztherapie.[6] Deshalb ist sie auch Teil des Therapieprogramms von Kaia Rückenschmerzen – einer ganzheitlichen Behandlung nicht-spezifischer Rückenschmerzen von zuhause aus. Mit der Kaia Rückenschmerzen App erhältst du täglich ein individualisiertes Programm aus Bewegung, Entspannung und Wissenseinheiten. Die Progressive Muskelentspannung kann mit Kaia innerhalb weniger Anwendungen erlernt werden. In auditiv angeleiteten Übungen kannst du Schritt für Schritt deinen ganzen Körper Entspannung und Stress und Anspannung loslassen. Mehr Informationen findest du hier.

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Quellen:

  1. Jacobson, E. (1938). Progressive relaxation: A physiological and clinical investigation of muscular states and their significance in psychology and medical practice. University of Chicago Press.
  2. Kohl, F. (2000). Die Progressive Muskelentspannung nach E. Jacobson – ein natürliches Entspannungsverfahren. Ärztezeitschrift für Naturheilverfahren, 41(12), 800-810.
  3. Bernstein, D. A., Borkovec, T. D., & Hazlett-Stevens, H. (2000). New directions in progressive relaxation training: A guidebook for helping professionals. Greenwood Publishing Group.
  4. Derra, C. (2017). Progressive Relaxation: Neurobiologische Grundlagen und Praxiswissen für Ärzte und Psychologen. Springer-Verlag.
  5. Heinrich, M., Monstadt, D., & Michel, C. (2009). Psychologische Interventionen in der Behandlung chronischer Rückenschmerzen. Der Orthopäde, 38(10), 937-942.
  6. Diezemann, A. (2011). Entspannungsverfahren bei chronischem Schmerz. Der Schmerz, 25(4), 445.

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