Die Multimodale Schmerztherapie
Die Multimodale Schmerztherapie setzt da an, wo andere Therapien an ihre Grenzen stoßen. Multimodal bedeutet, Körper, Geist und Lebensstil zu behandeln, wovon gerade Patient:innen mit chronischen Schmerzen profitieren.
Viele Patient:innen mit chronischen Schmerzen gehen einen langen Weg, um Linderung zu erfahren. Von manueller Therapie zu Fango, über Schmerzmittel und Akupunktur zu Massagen – diese Therapien wirken oftmals bei akuten Schmerzen, helfen jedoch bei chronischen Schmerzen wenig.
Im Gegensatz zu akuten und subakuten Schmerzen, die maximal 12 Wochen andauern, helfen bei chronischen Schmerzen oft keine üblichen einseitigen Therapien mehr. Bei chronischen Schmerzen spielen neben den körperlichen Ursachen für den Schmerz auch psychische und sozialen Faktoren eine große Rolle.
Chronische Schmerzen entstehen aufgrund eines komplexen Zusammenspiels bio-psycho-sozialer Faktoren. Deshalb ist hier, im Gegensatz zu einseitigen unimodalen Therapien, ein ganzheitlicher Ansatz notwendig, der auch bio-psycho-soziale Belastungsfaktoren berücksichtigt.1
Was versteht man unter der multimodalen Schmerztherapie?
Unter der multimodalen Schmerztherapie versteht man die ganzheitlich orientierte, umfassende Behandlung von Personen mit chronifizierten Schmerzerkrankungen. Es sind mindestens drei Berufsgruppen an der Behandlung der Patient:innen beteiligt, zum Beispiel Ärzt:innen, Psycholog:innen und Bewegungstherapeut:innen. Oft begleiten auch Ergotherapeut:innen die Behandlung. Eine enge interdisziplinäre Zusammenarbeit ist eine Grundvoraussetzung der multimodalen Schmerztherapie, um eine optimale Versorgung der Patient:innen zu gewährleisten. Das Behandlungsteam arbeitet dabei Hand in Hand, in der Regel findet ein regelmäßiger Austausch in Teambesprechungen statt.
Ein grundlegendes Ziel der multimodalen Schmerztherapie ist die Wiederherstellung der Funktionsfähigkeit im Alltag sowie der Aufbau von eigenen Kompetenzen und Strategien im Umgang mit der Schmerzerkrankung. Dieses Ziel kann von Patient:in zu Patient:in anders aussehen, deshalb werden die individuellen Therapieziele zu Beginn der Therapie gemeinsam mit den Patient:innen festgelegt. Die Patient:innen stehen innerhalb der gesamten Therapie im Mittelpunkt. Dabei wird versucht, den individuellen Bedürfnissen der individuellen Patient:innen gerecht zu werden.2
Für welche Erkrankungen ist die multimodale Schmerztherapie geeignet?
Die multimodale Schmerztherapie wird vor allem für Patient:innen mit bereits chronifizierten Schmerzsyndromen empfohlen, darunter fallen alle chronischen Schmerzerkrankungen wie beispielsweise chronische Rückenschmerzen, Migränekopfschmerz oder Fibromyalgie.
Die Therapie wird jedoch auch bei Patient:innen mit einem erhöhten Risiko für eine Chronifizierung empfohlen, mit dem Ziel, einer Chronifizierung der Schmerzen vorzubeugen. Bei diesen Patient:innen ist aufgrund des Zusammenspiels verschiedener bio-psycho-sozialer Faktoren die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass der akute Schmerz chronisch werden kann. Ein erhöhtes Risiko für chronische Schmerzen kann beispielsweise aufgrund von Stress am Arbeitsplatz, eine depressive Stimmung, Ängste oder Sorgen bestehen.2,3
Wie sieht das Therapieprogramm aus?
Im Therapieprogramm der multimodalen Schmerztherapie sind sowohl ärztliche, bewegungstherapeutische als auch psychologische Einheiten enthalten. Die Therapiebausteine sind eng miteinander vernetzt, bauen aufeinander auf und ermöglichen so eine sehr intensive Behandlung. Die Behandlung erfolgt üblicherweise in Kleingruppen.
Ein wichtiger Teil der ärztlichen Therapiebausteine sind Informationsveranstaltungen, in denen Wissen zur Schmerzentstehung, Schmerzwahrnehmung, zu spezifischen Krankheitsbildern sowie zu Schmerzmedikamenten vermittelt wird. Therapiebegleitend finden ärztliche Einzelgespräche statt, hier wird die medikamentöse Ein- oder Umstellung besprochen. Außerdem finden Verlaufsuntersuchungen statt und es gibt Raum für persönliche medizinische Anliegen der Patient:innen.
Die psychologischen Therapiebausteine sollen Patient:innen das Zusammenspiel von bio-psycho-sozialen Faktoren vermitteln und dabei helfen, einen gesunden Umgang mit Stress und anderen Alltagsbelastungen zu finden. Beispielsweise werden in einer Gruppe psychologische Schmerzbewältigungsstrategien geübt. Dazu gehören Entspannungstechniken, wie zum Beispiel die Progressive Muskelentspannung nach Jacobson oder Autogenes Training. Therapiebegleitend finden psychologische Einzelgespräche statt.
Kognitive Verhaltenstherapie (KVT)
Bei chronischen Schmerzen zeigt vor allem die kognitive Verhaltenstherapie Erfolge. Während der Therapie lernen Patient:innen, mit negativen Gedanken umzugehen und Ängste abzubauen, die nicht förderlich sind.
So haben einige Patient:innen beispielsweise Angst vor bestimmten Bewegungen. Aufgrund der Sorge, dass sie sich falsch Bewegen könnten und so ihre Schmerzen noch verstärken, nehmen sie eine Schonhaltung ein. Dabei helfen Aktivität und Bewegungstraining den meisten Patient:innen, sich wohler zu fühlen und die Rückengesundheit langfristig zu verbessern. Während der kognitiven Verhaltenstherapie lernen Patient:innen, wie sie durch ihre Gedanken, Gefühle und Handlungen die eigenen Schmerzzustände erhalten oder sogar noch verstärken. Dazu gehören:
- Psychosoziale Faktoren, beispielsweise Konflikte innerhalb der Familie oder am Arbeitsplatz
- Körperliche Stressauslöser, beispielsweise körperlich anstrengende Tätigkeiten oder Fehlhaltungen
- Innere Zwänge, beispielsweise Durchhaltestrategien, die dazu führen, dass man trotz den Schmerzes weiterarbeitet oder glaubt, bestimmte Aufgaben zu Ende bringen zu „müssen“, bevor man eine Pause einlegt4
Eine Schmerzbehandlung mit kognitiver Verhaltenstherapie zielt auf eine Schmerzlinderung ab, aber auch auf die Lebensqualität der Patient:innen. So soll eine Veränderung des Verhaltens und auch des Umgang mit Stress dazu führen, dass Patient:innen trotz Schmerzen ein zufriedenes und aktives Leben führen können.
Die bewegungstherapeutischen Therapiebausteine dienen zur Aktivierung und den Wiederaufbau der körperlichen Funktions- und Leistungsfähigkeit. In den Einheiten wird die Körperwahrnehmung verbessert, die körperliche Kraft, Ausdauer, Beweglichkeit und Koordination mit verschiedenen Übungen trainiert. Dabei wird mit sehr leichten Bewegungsübungen begonnen, welche Schritt für Schritt gesteigert werden. In der Bewegungstherapie wird einerseits aktiv geübt, andererseits auch wichtiges theoretisches Wissen über Trainingsgestaltung im Alltag und Pausensetzung vermittelt.
In vielen schmerztherapeutischen Einrichtungen gibt es zusätzlich zu diesen drei therapeutischen Bausteinen ein ergänzendes Angebot mit Ergotherapie, Musik- oder Kunsttherapie.
Das Therapieprogramm findet meist über vier bis fünf Wochen täglich statt. Es gibt in einigen Einrichtungen bereits berufsbegleitende Gruppen, die an 2 bis 3 Tagen die Woche stattfinden.2,5
Welche Erfolge kann ich mir von der multimodalen Schmerztherapie versprechen?
Die multimodale Schmerztherapie hat sich bei der Behandlung von chronischen Schmerzerkrankungen bisher als erfolgreich erwiesen. In einigen Studien wurde bereits wissenschaftlich untersucht, welche Ergebnisse durch die Therapie erzielt werden können. Es zeigten sich durchgehend sehr gute und stabile Behandlungsergebnisse.
Die Schmerzsymptomatik wurde durch ein mehrwöchiges multimodales Therapieprogramm deutlich reduziert. Direkt nach der Therapie sowie nach 6 Monaten berichteten die Patient:innen von deutlich reduzierten Schmerzen. Die körperliche Leistungsfähigkeit verbessert sich stetig und damit kommt es nach Abschluss der Therapie zu weniger Einschränkungen im Alltag. Die Patient:innen suchen auch noch lange nach der Therapie deutlich seltener einen Arzt auf. 60 bis 70 Prozent der Patient:innen sind direkt nach der multimodalen Schmerztherapie wieder arbeitsfähig und können normal in ihrem Beruf arbeiten, das ist deutlich mehr als bei gängigen unimodalen Schmerztherapien und Schmerzbehandlungen.
Studien zeigen auch, dass sich die Stimmung der Patient:innen deutlich bessert, es zeigen sich weniger depressive Symptome nach Therapieende. Insgesamt wird die allgemeine Lebensqualität durch die multimodale Schmerztherapie deutlich gebessert.6,7
Wieso habe ich bisher noch nichts von der multimodalen Schmerztherapie gehört?
Das multimodale Programm etablierte sich in Deutschland erst in den 1990er Jahren. Seitdem verbreitet sich das Konzept und findet Anklang in vielen schmerztherapeutischen Einrichtungen. Bisher gibt es in Deutschland dennoch vergleichsweise wenige schmerztherapeutische Einrichtungen, die eine intensive multimodale Schmerzbehandlung anbieten. Die Verfügbarkeit von multimodaler Schmerztherapie ist in Deutschland noch lange nicht ausreichend oder flächendeckend gegeben.
In einigen Bundesländern finden sich bisher noch gar keine Versorgungsangebote hinsichtlich multimodaler Schmerztherapie. Der Ausbau schmerztherapeutischer Zentren mit einem multimodalen Therapieangebot wird weiterhin von der Deutschen Schmerzgesellschaft gefordert. [1,7,8] Wichtig ist auch, Patient:innen darüber zu informieren, dass es neben der Behandlung mit Schmerzmitteln, nichtmedikamentöse Ansätze gibt, die Schmerzen nachweislich und langfristig lindern können.1,8,9
Hilfe zur Selbsthilfe
Die multimodale Schmerztherapie bietet ein breites Spektrum an Strategien und Übungen, die helfen mit einer chronischen Schmerzerkrankung umzugehen. Auch bietet sie eine Alternative zur Behandlung mit Schmerzmitteln und anderen unimodalen Schmerzbehandlungen. Auf Dauer zeigen sich positive Therapieergebnisse wie eine Schmerzreduktion und eine verbesserte Leistungsfähigkeit. Die multimodale Schmerztherapie setzt dabei auf das Motto „Hilfe zur Selbsthilfe“, möchte also erreichen, dass die Patient:innen selbst wissen, wie sie aktiv und eigenständig mit den Schmerzen umgehen können.
Das Ziel ist, dass die Patient:innen am Ende der Therapie ihre eigenen individuellen Strategien an der Hand haben, mit denen sie selbstständig ihre Schmerzen behandeln können. Aufgrund der sehr guten Behandlungsergebnisse wird die multimodale Schmerztherapie in den Nationalen Versorgungsleitlinien (NVL) empfohlen als die optimale Therapie bei chronischen Schmerzen.10
Quellen
1. https://link.springer.com/article/10.1007%2Fs00482-015-0030-4
2. https://link.springer.com/article/10.1007/s00482-008-0741-x
3. Sendera, M., & Sendera, A. (2015). Chronischer Schmerz: Schulmedizinische, komplementärmedizinische und psychotherapeutische Aspekte. Springer-Verlag
5. https://link.springer.com/article/10.1007/s00482-014-1471-x
6. https://link.springer.com/article/10.1007/s00482-008-0727-8
7. https://link.springer.com/article/10.1007/s00482-009-0827-0
8. https://link.springer.com/article/10.1007/s00482-012-1207-8
9. https://www.dgss.org/fileadmin/pdf/PK_250412_3_HTA_Bericht.pdf
10. http://www.leitlinien.de/nvl/html/kreuzschmerz/kapitel-9
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